Vorratsdatenspeicherung: Ist der Staat nun machtlos gegen Kriminelle?
Datenschutz im Rahmen der Strafverfolgung ist aktuell ein viel diskutiertes Thema. Nun hat der Europäische Gerichtshof am Dienstag, den 20.09.2022, entschieden: Die Vorratsdatenspeicherung ist rechtswidrig. Ein lange erwartetes Urteil, das rechtliche und politische Folgen nach sich ziehen wird. In unserem aktuellen Blogbeitrag beleuchten wir jene Folgen des Urteils und geben einen Ausblick auf kommende Entwicklungen.
Was ist die Vorratsdatenspeicherung?
Bei der Vorratsdatenspeicherung geht es um die anlasslose, pauschale Speicherung von Telekommunikationsdaten zur Verwendung durch Ermittlungsbehörden. Es sollen also alle (Meta-) Daten, die im Rahmen der Nutzung von Telefon-, Handy- und Internet-Verbindungen, für einen bestimmten Zeitraum gespeichert werden.
Mit wem ich gestern telefoniert habe, in welcher Funkzelle ich währenddessen eingeloggt war und wie lange der Anruf gedauert hat – diese Informationen darf der Staat nicht einfach vorsorglich speichern. Das hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) bereits mehrfach entschieden.
Denn wer diese Informationen über mich hat, kann sich unter Umständen ein Bild über meine Gewohnheiten und meine Persönlichkeit machen und damit viel über mein Privatleben herausfinden. Ein Eingriff in die Privatsphäre also, der nicht mit dem Europarecht vereinbar ist.
Drastischer Eingriff in Privatsphäre
Diesen Eingriff in die Privatsphäre erlaubte aber das deutsche Gesetz zur sogenannten Vorratsdatenspeicherung, über das der Europäische Gerichtshof jetzt entschieden hat. Nach dem Gesetz sollten Informationen darüber, wer wann mit wem wo telefonierte und wer über welche IP-Adresse im Netz surfte, vorsorglich gespeichert werden können.
Für den Fall, dass die Informationen zur „Bekämpfung schwerer Kriminalität“ oder zum „Schutz der nationalen Sicherheit“ einmal gebraucht würden, sollten sie einfach aus der Schublade geholt werden können. Die Interessen von Ermittlern, Staatsanwälten und Innenministern stehen dabei den Sorgen von Bürgerrechtlern, Datenschützern und den meisten Justizministern entgegen.
Patrick Breyer (Piratenpartei) warnt vor der Vorratsdatenspeicherung: „Internetadressen sind wie unsere Finger- oder Fußabdrücke im Netz“, sie machten die komplette Internetnutzung nachvollziehbar.
Gericht klar gegen anlasslose Speicherung von Informationen
Jetzt hat der Europäische Gerichtshof nach seinem wegweisenden Urteil von 2020 erneut klargestellt, dass die vorsorgliche Speicherung dieser sensiblen Informationen nur für den Fall, dass sie einmal nützlich sein könnten, rechtswidrig ist.
Das deutsche Gesetz aus dem Jahr 2015, das die Speicherung dieser Informationen erlaubte, ist damit passé. Obwohl es wegen der rechtlichen Unsicherheiten seit 2017 nicht mehr angewendet wurde, steht nun fest, dass es in dieser Form auch nicht zur Geltung kommen kann.
Ist die Debatte damit zu Ende? Landet die Vorratsdatenspeicherung tatsächlich „auf dem Müllhaufen der Geschichte“, wie der Grüne Konstantin von Notz erklärte?
Eher noch nicht. Der EuGH hat kein Urteil in Schwarz-Weiß erlassen. Er hat versucht, auch die Interessen der Strafverfolger zu berücksichtigen. Die Richter haben für bestimmte, eng gefasste Fälle eine gezielte Speicherung zugelassen. Sie haben allerdings die Schwelle hochgelegt. Nur bei schweren Verbrechen, auch bei einer „Bedrohung für die nationale Sicherheit“ und immer „unter strikter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ soll der Zugriff auf Daten möglich sein.
Vorratsdatenspeicherung: Nun ist die Politik gefragt
Diese Ausnahmen sind jedoch nicht mehr das, was klassischerweise mit dem Begriff Vorratsdatenspeicherung gemeint war. Durch die Ausnahmen wurde das Gesetz gewissermaßen ausgehöhlt – es ist rechtlich deutlich weniger möglich, als ursprünglich politisch gewollt war.
Die Politik muss sich jetzt überlegen, wie sie mit den Vorgaben des EuGHs umgeht und ob sie einen weiteren Versuch startet, eine unionsrechtskonforme Regelung zu schaffen. Jedoch sollte die Politik dabei ihre Vereinbarung aus dem Koalitionsvertrag nicht aus den Augen verlieren, denn dort wurde festgehalten, dass nur „anlassbezogen und durch richterlichen Beschluss gespeichert werden“. Eine Variante, die auch schon vor der Entscheidung aus Luxemburg diskutiert wurde, ist das sogenannte „Quick-Freeze-Verfahren“. Bei diesem Verfahren werden bei konkreten Anhaltspunkten für Straftaten Informationen vorsorglich für einen beschränkten Zeitraum gesichert – die Auswertung darf allerdings nur mit richterlichem Beschluss erfolgen. Ob und wie die Politik jetzt handelt, bleibt abzuwarten.
Auch SPD-Bundesinnenministerin Faeser macht in letzter Zeit mit immer neuen und aus Datenschutzsicht haarsträubenden Ideen von sich reden. Wir werden das Thema für euch weiterhin im Blick behalten.
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