NetzDG stärkt Nutzerrechte in sozialen Netzwerken
Am 01. April hat die Bundesregierung den Gesetzesentwurf zur Änderung des Netzwerkdurchsetzungsgesetzes (NetzDG) beschlossen. Ziel ist es, die Nutzerrechte in den sozialen Netzwerken zu stärken. Welche Vor- und Nachteile das NetzDG mit sich bringt und wie die Umsetzung in der Praxis aussehen kann, erklären wir heute.
NetzDG: Die Neuerungen
Die Bundesjustizministerin Christine Lambrecht erklärt die Ziele des NetzDG: „Mit der Reform stärken wir die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer sozialer Netzwerke. Wir stellen klar: Meldewege müssen für jeden mühelos auffindbar und leicht zu bedienen sein. Wer im Netz bedroht und beleidigt wird, muss die Möglichkeit haben, dies dem sozialen Netzwerk einfach und unkompliziert anzuzeigen. Darüber hinaus vereinfachen wir die Durchsetzung von Auskunftsansprüchen: Wer sich vor Gericht gegen Bedrohungen oder Beleidigungen zur Wehr setzen will, soll die hierfür erforderlichen Daten deutlich leichter herausverlangen können als bisher. Außerdem verbessern wir den Schutz vor unberechtigten Löschungen: Betroffene können künftig verlangen, dass die Entscheidung über die Löschung ihres Beitrags überprüft und begründet wird. Dies erhöht die Transparenz und schützt vor unberechtigten Löschungen.“
Im Wesentlichen geht es in dem Gesetzesentwurf um folgende Punkte:
- Nutzerrechte stärken
- Meldewege nutzerfreundlicher gestalten
- Durchsetzung von Auskunftsansprüchen vereinfachen
- Aussagekraft der Transparenzberichte erhöhen.
NetzDG soll Nutzerrechte stärken
Die Nutzerrechte gegenüber den sozialen Netzwerken sollen unter anderem durch das Einführen eines Gegenvorstellungsverfahrens gestärkt werden. Haben Nutzer und soziales Netzwerk unterschiedliche Auffassungen darüber, ob Inhalte gelöscht werden müssen oder nicht, soll das Gegenvorstellungsverfahren helfen. Auf Antrag des Nutzers soll das soziale Netzwerk dazu verpflichtet werden, Entscheidungen über mögliche Löschungen zu überprüfen. Ergebnisse aus dieser Überprüfung müssen dem Nutzer begründet werden.
Auch die Klarstellung der Zuständigkeit des Zustellungsbevollmächtigten soll zur Rechtestärkung des Nutzers beitragen. Schon jetzt müssen soziale Netzwerke einen Zustellungsbevollmächtigten in Deutschland benennen. Dieser korrespondiert mit Gerichten zur Verbreitung rechtswidriger Inhalte. Darüber, ob der Zustellungsbevollmächtigte auch für Wiederherstellungsklagen (Nutzer klagen wegen unrechtmäßiger Löschung oder Sperrung) zuständig ist, herrscht derzeit Unklarheit. Nach der Reform des NetzDG ist der Zustellungsbevollmächtigte eindeutig auch für Wiederherstellungsklagen Ansprechpartner.
Ein dritter Punkt ist das Einführen der Grundlagen zum Schaffen von unparteiischen Schlichtungsstellen. Private Schlichtungsstellen sollen helfen, Streitigkeiten außergerichtlich beizulegen. Im NetzDG werden die Voraussetzungen für die Anerkennung einer Schlichtungsstelle geregelt. Für Videosharingplattformen mit Sitz in Deutschland möchte man behördliche Auffangschlichtungsstellen schaffen.
Vereinfachtes Durchsetzen von Auskunftsansprüchen
Drohungen, Beleidigungen oder andere strafbare Beiträge in sozialen Netzwerken verletzen in aller Regel Rechte von Einzelpersonen. Nach den §§ 14 und 15 TMG können Betroffene schon heute Informationen wie den Namen des Beitragsverfassers verlangen, um ihre Rechte durchsetzen zu können. Die Praxis zeigt jedoch, dass die Diensteanbieter häufig die Datenherausgabe mit der Begründung verweigern, dass zwar eine Erlaubnis, jedoch keine Pflicht zur Datenherausgabe angeordnet sei. Verfahren dieser Art sind zäh und kompliziert. Mit der NetzDG-Reform soll das Durchsetzen von Auskunftsansprüchen effizienter werden: Das mit der Datenherausgabe befasste Gericht kann das soziale Netzwerk zur Datenherausgabe verpflichten.
Optimierung der Nutzerfreundlichkeit der Meldewege
Bisher haben die wenigsten sozialen Netzwerke Meldewege für Beschwerden bei rechtswidrigen Inhalten wenig nutzerfreundlich gestaltet. Jedoch sind komplizierte Klickwege zum Melden rechtswidriger Inhalte nicht mit dem NetzDG vereinbar. Mit der Novellierung des Gesetzes erfolgen ausdrückliche Klarstellungen: Meldewege müssen leicht auffindbar und einfach zu bedienen sein; direkt von dem Inhalt aus, der als rechtswidrig gemeldet werden soll.
Erhöhte Aussagekraft der Transparenzberichte
Soziale Netzwerke müssen Transparenzberichte vorlegen, um ihrer Rechenschaftspflicht nachzukommen. Bezüglich des Informationsgehalts und der Vergleichbarkeit gibt es jedoch Nachholbedarf bei verschiedenen Anbietern sozialer Netzwerke. Künftig sind Diensteanbieter verpflichtet, Veränderungen in aktuellen Transparenzberichten zu den letzten beiden zu erläutern. Weiter muss dargelegt werden, wie mit dem Gegenvorstellungsverfahren umgegangen wird: Beispielsweise ist die Anzahl gelöschter Inhalte zu nennen, die nach erneuter Prüfung wiedereingestellt wurden. Auch soll Auskunft darüber enthalten sein, wie automatisierte Verfahren beim Auffinden möglicher rechtswidriger Inhalte funktionieren.
Transparenzberichte müssen darüber hinaus künftig aufführen, ob unabhängige Forschungseinrichtungen Zugang zu anonymisierten Daten erhalten. Mit Daten dieser Art können Wissenschaftler durch systematische Analysen herausfinden, welche Personengruppen besonders häufig Ziel rechtswidriger Inhalte werden.
Was bringt das neue NetzDG für die Praxis?
Wie unter „NetzDG soll Nutzerrechte stärken“ deutlich wird, werden soziale Netzwerke wie Facebook künftig anders behandelt als Videosharingplattformen wie YouTube. Das liegt an der EU-Richtlinie über audiovisuelle Mediendienste (AVMD-Richtlinie) aus 2018, die mit den Änderungen des NetzDG umgesetzt wird. Haben Videosharingplattformen ihren EU-Sitz nicht in Deutschland, werden bestimmte Bereiche auch nicht durch den deutschen Gesetzgeber geregelt – dafür sind jene Mitgliedsstaaten zuständig, in denen die Unternehmen sitzen.
Für YouTube oder ähnliche Plattformen bedeutet dies: Es existieren nach NetzDG keinerlei Berichts- oder Löschpflichten, auch nicht bei öffentlichen Aufrufen zu Straftaten, bei Volksverhetzung, bei Gewaltdarstellungen oder Beschimpfungen sowie fürs Verbreiten, das Erwerben oder Besitzen kinderpornografischer Schriften. Bei Bedrohungen, Verleumdungen, übler Nachrede, Beleidigungen, bei Störungen des öffentlichen Friedens durch Androhen von Straftaten, beim Verbreiten von Propagandamitteln von verfassungswidrigen Organisationen und beim Verwenden von Kennzeichen von verfassungswidrigen Organisationen bleiben die Vorgaben unverändert.
Schon im Januar 2020 gab es einen Referentenentwurf zum NetzDG; die Pflichten für die Plattformbetreiber wurden jedoch noch einmal herabgesetzt. Sie müssen mit Nutzern nach wie vor vereinbaren, dass das Verbreiten rechtswidriger Inhalte verboten ist. Ein Anbieter ist jedoch nicht mehr dazu verpflichtet, „ein wirksames Verfahren vorzuhalten, mit dem er die Einhaltung dieser Vereinbarungen durch die Nutzer kontrollieren und sicherstellen kann“, wie es im Referentenentwurf hieß. YouTube bleibt jedoch verpflichtet, rechtswidrige Inhalte nach dem Notice-and-Takedown-Verfahren zu löschen. Das Bundesamt für Justiz könnte für den Einzelfall außerdem das Löschen von Inhalten nach § 3 Abs. 5 TMG anordnen.
NetzDG als praxisuntauglich kritisiert
Leider sorgt die Novellierung des NetzDG für noch mehr Rechtsunsicherheit in diversen Punkten, da einige Details nicht ausreichend dargestellt werden. So ist beispielsweise recht klar umrissen, für welche Straftaten die Meldepflicht gilt. Unklar ist jedoch, ob die Prüfung durch den Diensteanbieter einer Dokumentation bedarf. Falls ja: Ist diese Bestandteil der Meldung ans BKA?
Weiter muss geklärt werden, inwieweit die technischen Anforderungen umsetzbar sind. Unklar ist bislang auch, welche Konsequenzen „Falschmeldungen“ nach sich ziehen: Derartige Meldungen sind unvermeidbar. Eine zu enge Auslegung gemeldeter Inhalte oder auch eine zu weite braucht gesetzliche Konsequenzen.
Weithin Einigkeit besteht darüber, dass auch im Internet konsequent gegen Straftaten vorgegangen werden muss. Jedoch: Wessen Verantwortung ist dies – die des Diensteanbieters oder die des Staats? Hier herrscht Unklarheit. Das Einführen einer Meldepflicht klingt theoretisch auch gut. Jedoch muss hier auch weiterführend bedacht werden, dass die zuständigen Ermittlungs- sowie Strafverfolgungsbehörden ebenfalls über entsprechende personelle und technische Kapazitäten und Kompetenzen verfügen müssen.
Auch im neuen Gesetzesentwurf ist nicht spezifiziert worden, durch welche Maßnahmen die Plattformbetreiber Nutzerfreundlichkeit gewährleisten könnten, um die Meldewege zu verkürzen.
Um praxistauglich zu werden, fehlt es dem NetzDG in seiner aktuellen Entwurfsfassung also noch an Konkretisierungen zu diversen Punkten. Hinzu kommen Kritikpunkte, die von Branchenverbänden genauso benannt werden wie von den Diensteanbietern selbst.
Kritiken am NetzDG
Schon das ursprüngliche NetzDG wurde von den Unternehmen stark kritisiert: Staatliche Aufgaben würden an Konzerne übertragen, hieß es. Bernhard Rohleder, Hauptgeschäftsführer des Branchenverbands Bitkom, kritisiert das NetzDG: „Die neue Reform führt zu noch mehr Unsicherheiten und eben nicht zu mehr Transparenz.“ Rechtsbegriffe seien nicht näher bestimmt, die Vorgaben zur Inhaltslöschung zu unklar. Rohleder weiter: „Problematisch ist auch die künftige Ungleichbehandlung von Videosharing-Plattformen und sozialen Netzwerken: Die Bundesregierung sieht für Videosharing-Anbieter das Herkunftsland in der Pflicht – für die sozialen Netzwerke jedoch nach wie vor das Zielland.“ Für Rohleder sei der komplette Neuanfang für den Kampf gegen Hassbotschaften notwendig.
Auch Google gehört zu den Kritikern des NetzDG. Der Internet-Riese zeigt sich in einer Stellungnahme betroffen von der Pflicht der Anbieter, Erkenntnisse zu Gruppen zu veröffentlichen, die häufig auf Hassreden stoßen: Derartige „Informationen über Opfer und Täter“ würden voraussetzen, dass der Diensteanbieter „eine umfassende Überwachungsstruktur in Bezug auf das Nutzerverhalten“ installiere. Es müssten nicht nur Daten gesammelt, sondern auch umfangreich ausgewertet werden. Auch Facebook gibt zu bedenken, dass die neu geregelten Transparenzauflagen „ohne weitreichende neue Datenerhebungen und –auswertungen in einem sehr sensiblen Bereich (ethnische/ religiöse Zugehörigkeit oder politische Gesinnung) nicht umsetzbar“ wäre.
Google empört sich auch über das Gegenvorstellungsverfahren: Nutzer und Dienstanbieter sind unterschiedlicher Auffassung zur Löschung von Inhalten. Der Betreiber ist nach neuem NetzDG verpflichtet, Lösch-Entscheidungen auf Antrag des Nutzers „in jedem Einzelfall zu begründen“. Google dazu: „Das Gegenvorstellungsverfahren soll als Art schiedsgerichtliches Verfahren zwischen Dienstanbieter, Betroffenem und dem Inhalte einstellenden Nutzer (auch ‚Uploader‘ genannt) geführt werden. […] Erneut verlagert das Gesetz damit jedenfalls faktisch staatliche Aufgaben mit in alle Richtungen nachteiligen Effekten auf Private. Zu nennen ist hier vor allem das erhebliche Risiko für Betroffene“, die ihre Identität erkennbar werden lassen müssen.
Der Regierungsentwurf erklärt, dass die Diensteanbieter nun sicherzustellen haben, „dass eine Offenlegung der Identität des Beschwerdeführers und des Nutzers in dem Verfahren nicht erfolgt“. Google hält jedoch dagegen: „Selbst bei Anonymisierung der personenbezogenen Daten des Betroffenen kann die vollständige Anonymität nicht gewährleistet werden.“ Es bestünde die Gefahr für den Antragsteller, „dass möglicherweise gewaltbereite, rechtsextreme Gruppierungen ihn identifizieren können.“
NetzDG: Wie geht es weiter?
Die AVMD-Richtlinie soll europaweit bis Oktober 2020 umgesetzt werden, mit dem 20. September soll das neue NetzDG in Kraft treten. Der Bundestag muss dem Gesetz jedoch noch zustimmen. Inwieweit die kritischen Stimmen noch berücksichtigt werden, bleibt abzuwarten.